1.
Textanalyse
Wer / Was / Wo / Wie / Wann

Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Das Gedicht ist gegliedert in zwei Strophen mit jeweils sieben Zeilen. Es gibt keine Reime, geschrieben ist es in freiem Rhythmus.
In den ersten drei Zeilen wird ein wiedererkennbarer Ort beschrieben: eine Spätsommerlandschaft mit Bäumen und Rosen, auf einer Landzunge, die in einen See hineinragt.
Auf dem See schwimmen Schwäne. Die Wortwahl dieser vier Zeilen („hold“, „tunken“, „heilignüchtern“) legt nahe, dass es sich hier nicht nur um eine bloße Naturbeschreibung handelt. Es ist eine Art Hymne, bei dem die Schwäne für etwas Heiliges, Göttliches stehen.
Die nächsten vier Zeilen beschreiben einen klagenden Vorausblick auf eine herannahende, bedrohliche Zukunft. Es ist die Vorstellung eines Winters ohne Sonnen, Blumen, Schatten. Dem Hymnischen, Euphorischen der letzten vier Zeilen wird hier ein Lamento, ein Klagelied, eine erwartete Verlusterfahrung entgegengesetzt.
Die letzten drei Zeilen beschreiben wie die ersten drei Zeilen einen wiedererkennbaren Ort mit Mauern, die kalt, erstarrt und leblos wirken.
Das Wort „hänget“ in der ersten Zeile lässt an einen sanften Abhang denken, auf dessen Höhe das lyrische Ich die Szenerie einer Spätsommerlandschaft betrachtet. Es tritt indirekt in Erscheinung, indem die Schwäne angesprochen werden („Ihr holden Schwäne…“). Direkt tritt das lyrische Ich mit der Wehklage ab der achten Zeile auf.
Die beiden „Hälften“ des Textes unterscheiden sich deutlich. Ist die erste Hälfte einem Farbfilm gleich mit satten, leuchtenden Farben (gelbe Birnen, wilde Rosen, weisse Schwäne, blauer See), wechselt der zweite Teil zu einer Schwarz-Weiss-Aufnahme. Es fehlen Sonne und Blumen, stattdessen stehen kahle Mauern im Wind.
Ebenso gibt es einen „Temperatursturz“ zwischen erster und zweiter Hälfte des Textes. Wird in den ersten acht Zeilen eine warme Spätsommer-Szene beschrieben, wird es in der zweiten Hälfte plötzlich kalt. Die wärmende Sonne fehlt, stattdessen weht ein rauher Wind und die Fahnen lassen an „klirrende“ Kälte denken.
Der zentrale Ausdruck ist das „Wehe mir“. Es steht markant an der entscheidenen Schnittstelle zwischen erstem und zweitem Teil. Obwohl formal zum zweiten Teil gehörig, setzt es doch den Ton für das ganze Gedicht: Ein „Klagelaut“, der nachdem er ertönt ist, auch auf den scheinbar so heiteren ersten Teil abfärbt. Das „Weh mir“ dominiert den ganzen Text und lässt die Sommeridylle der ersten sieben Zeilen in einem anderen Licht erscheinen, etwa als Rückblick an eine Zeit, die verloren zu gehen droht.
Struktur des Gedichts

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